Oskar und die Spuren im Schnee
Mama schimpfte schon wieder und rief die Treppe hinauf, dass er
sich beeilen solle. Wie so oft konnte sich Oskar nicht entscheiden, was er
anziehen wollte und musste es denn überhaupt unbedingt jetzt gleich sein. Sein
Kopf war voll mit viel Wichtigerem. Er musste den Tag planen. Musste darüber
nachdenken, ob Melanie aus der Nachbarklasse wirklich mit Paul ein Eis gegessen
hatte und ob Volker wirklich schon ein neues Fahrrad hatte. Alle hatten schon
ein neues Fahrrad, außer ihm.
Mama wusste natürlich das mit =Alle= immer die gleichen vier
Freunde gemeint waren, von denen Oskar sprach. Volker, Paul, Erwin und Jan. Sie
alle gingen gemeinsam in die gleiche Klasse.
Gerade zehn Jahre alt geworden durfte Oskar nun endlich zu
seinem Onkel in die Ferien reisen. Der wohnte ganz weit weg. Dazu musste Oskar
sogar fliegen. Das erste Mal fliegen! Er liebte Flugzeuge, war aber noch nie in
einem drinnen gewesen.
Oskar wusste, sein Onkel lebt im Norden. Also über der Ostsee.
Das hatte er auf der Karte, die an der roten Wand in seinem Zimmer hing,
gesehen.
Natürlich war es die Aufregung, die ihn so lange bummeln lies,
obschon der Rucksack gepackt war, die Kleidung am Tag zuvor gemeinsam
herausgesucht und Oskar rechtzeitig am Morgen geweckt wurde. Dennoch konnte er
nicht umhin, sich die Zeit mit Anderem vertreiben zu müssen. Das war keine böse
Absicht, aber er wusste doch, dass er Ärger bekommen würde, wenn er den Bogen
zu weit überspannte.
Seine Mutter rief abermals von unten und diesmal klang sie sehr
danach, als wenn es die letzte Warnung sein würde, bevor es kracht. Also zog
Oskar seine blaue Hose an, nahm seinen Rucksack und ging zur Treppe. Diese
schritt er dann bedächtig langsam und darauf bedacht so zu tun, als wenn alles
in Ordnung war, herunter.
Unten angekommen wartete schon der Rest der Familie ungeduldig
auf ihn.
Nichts wie schnell die Jacke und Schuhe anziehen!
Die Autofahrt zum Flughafen dauerte nur eine halbe Stunde, aber
Oskar war schrecklich ungeduldig. Er zappelte
und konnte einfach nicht still sitzen und seine Mutter hatte bereits
nach fünf Minuten Fahrt aufgeben ihn zu ermahnen, doch endlich still zu sitzen
bis sie da waren.
Papa fuhr wie immer schnell und zügig die Straßen entlang und
warf gelegentlich einen strengen Blick in den Rückspiegel, den Oskar sehr wohl
wahrnahm, aber beschlossen hatte zu ignorieren. Er konnte einfach nicht anders
und musste ein wenig seiner Aufregung freien Lauf lassen.
Endlich Ferien. Endlich mal richtig weit verreisen. Endlich mal
alleine reisen. Endlich sehen, wo Onkel Sven lebte und von wo er seine
Geschenke mitbrachte.
Oskar stellte sich nämlich bereits seit Tagen lebhaft vor wie
alles aussah.
Er hatte ja schon alle Pipi Langstrumpf Bücher gelesen und *Die
Kinder von Bullerbrü* kannte er auch auswendig.
Oskar dachte an viele bunte Holzhäuser und ganz viel Wald. Ganz
viel Natur, mit ganz vielen Tieren.
Vielleicht wird er auch einen Elch sehen oder reiten wie Pipi.
Am Flughafen angekommen war es sehr voll. So viele Menschen
kannte Oskar nur vom Bahnhof und wenn er Silvester am Brandenburger Tor gewesen
war. Er musste aufpassen Papa und Mama nicht aus den Augen zu verlieren. Oskar
fand nämlich, er war alt genug alleine zu gehen und außerdem war es uncool von
seinen Eltern an der Hand gehalten zu werden. Schliesslich war er kein kleiner
Junge mehr.
Insgeheim währe es aber Oskar ganz recht gewesen, wenn Papa ihn
gehalten hätte oder gar getragen.
Während Mama nach dem Flugzeug für Oskar Ausschau hielt, trug
Papa seinen Rucksack und telefonierte zeitgleich mit seinem Handy. Papa hatte
immer viel zu tun. Er war ein wichtiger Mann und sehr beliebt. Aber er musste
immer so lange arbeiten. Das fand Oskar manches Mal schade, freute sich aber
umso mehr, wenn Papa dann Zeit für ihn hatte. Denn wenn Papa Zeit hatte, dann
war es richtig toll. Sie waren dann Piraten, Abenteurer oder Gangster.
Mama machte sich natürlich sorgen, das Oskar nicht zum Onkel
finden könnte, so ganz alleine reisend. Deswegen bestand sie auch darauf, das
er eine Begleitung am Flughafen bekommen sollte, wenn er zum Flugzeug musste. Denn
Mama und Papa durften nicht bis ganz an das Flugzeug. Aber wie immer machte
sich Mama zu viele Sorgen. Eine nette Flugbegleiterin nahm Oskar in Empfang und
würde ihm helfen zur anderen Seite vom Flughafen zu gelangen. Dorthin wo alle
warten, bevor sie in das Flugzeug einsteigen durften.
Papa gab Oskar seinen Rucksack, umarmte ihn und mahnte ihn gut
auf sich aufzupassen. Mama lächelte tapfer und erinnerte ihn zum tausend Male
sich ordentlich zu benehmen. Er solle ihr ja keine Schande beim Onkel bereiten.
Oskar lächelte und versprach sein Bestes zu geben, drehte sich um, verdrehte
kurz seine Augen und folgte der Flugbegleiterin.
Er bekam nicht mit wie Mama und Papa hinter der Glasscheibe
standen, winkten und seinen kleinen Schritten in eine neue Welt folgten.
Oskar aber war bereits gedanklich dabei, sich an seinem
Fensterplatz bequem zu machen und überlegte, wie es sein würde zu fliegen.
Schon kurz nach dem Start wusste Oskar, Fliegen ist das Allerbeste.
Wie die Stadt immer kleiner wurde unter ihm, ganz als wenn alles zu Spielzeug
würde und nun diese Wolken, die wie ein Märchenland aus Zuckerwatte aussahen. Darüber
schien die Sonne in unendlicher Weite. Und alles war in der Ferne irgendwie
auch ein wenig gebogen. Warum wusste Oskar nicht, aber das würde er ja seinen
Onkel fragen können.
Fliegen war wie auf Wasser fahren. Nein, Fliegen war eher wie
Auto fahren, nur ohne Kurven und ständiges Vibrieren der Räder. Nein, Fliegen
war einfach nicht wirklich zu beschreiben. Man musste es erleben!
Papa hatte ihm Tags zuvor noch gesagt, dass es manchmal ganz
schön wacklig sein kann im Flugzeug. Das läge dann an den Luftlöchern, aber diese
seien alle ungefährlich. Oskar muss da keine Angst haben, wenn das passiert.
Er soll nur den ganzen Flug über angeschnallt bleiben,
außer wenn er mal auf Toilette muss.
Eine Stunde später hatte Oskar wieder festen Boden unter den
Füssen und Onkel Sven wartete schon mit offenen Armen auf ihn.
Seinen Rucksack hatte er allerdings vergessen. Oskar wollte
natürlich sofort suchen gehen, aber sein Onkel hielt ihn fest und versprach sie
werden sich gemeinsam darum kümmern. Keiner sucht an einem fremden Ort alleine.
Die nette Flugbegleiterin, die Oskar bereits kannte, hatte
bereits geahnt, dass Oskar nicht an sein Gepäck denken würde und brachte dieses
dann zu Oskar und seinem Onkel.
Nun waren die Ferien wieder gerettet.
Auf der Fahrt in die Stadt entschuldigte sich sein Onkel, das es
noch nicht geschneit hatte bisher. Oskar musste vorerst mit dem Ergebnis vom
Regen der letzten Tage vorlieb nehmen. Immerhin war endlich wieder Sonne. Ob
Oskar daran schuld sei? Oskar bejahte selbstverständlich, dann schaute er aus
dem Fenster und sah viele Bäume an sich vorbei ziehen, grüne und braune Felder
auftauchen und rote, gelbe, weise und blaue Häuser in der Landschaft stehen.
Dazwischen gab es grosse Felsensteine in verschiedenen Grautönen.
Bald sah Oskar die ersten Lichter der Stadt und er bemerkte,
dass es schon dunkel wurde. Aber es war doch erst halb vier! Oskar wundert sich
laut, wie das sein kann und sein Onkel erzählt ihm, das im Norden die Sonne
später auf geht und früher unter geht im Winter. Dafür ist sie im Sommer viel
länger da. Viel länger als bei Oskar zu Hause. Sie ist sogar zeitweise fast den
ganzen Tag lang da.
-Geht denn dann keiner in’s Bett?- fragt Oskar seinen Onkel,
worauf dieser lachend antwortet, dass sehr wohl alle wie immer in das Bett
gehen würden. Sie müssten nur eben dunkle Gardienen vor dem Fenster haben.
Drei Tage war Oskar nun schon bei seinem Onkel, der mitten in
der Stadt, auf einem Berg, in einer Häuserzeile wohnte. Sie hatte einen tollen
Ausblick über die anderen Häusern, konnten den Kanal und die grossen Schiffe
darauf sehen, sowie die grossen Brücken.
Dabei war es als ob sie in einem dieser Hochhäuser wohnen
würden, jedoch wohnte Onkel Sven in der dritten Etage. Oskar hatte das kleine
Gästezimmer bekommen, gleich neben dem Bad.
Drei Tage sind lang. Vor allem wenn es fast nur regnet und man
nicht so viel draußen machen kann. Oskar war also schon im zwei Museen mit
Onkel Sven und seinem Freund Peter. Sie waren auch schon richtig schwedisch
essen gewesen. Ganz wie Mama das versprochen hatte. Aber es war alles ein wenig
salzig oder ganz schön süß.
Süß mochte Oskar.
Lakritze mochte er nicht, aber das Gebäck, was sie ihm kauften.
Oskar durfte dazu sogar Kaffee trinken, obwohl das zu Hause verboten war. Aber
nach ein paar Schlucken verzichtet er darauf. Es schmeckte widerlich.
Oskar musste natürlich immer wieder danach die Zähne putzen. Sie
schienen hier alle noch mehr Wert darauf zu legen als zu Hause.
Das war nervig!
Oskar war auch schon mit beiden Onkels im Vergnügungspark. Aber
viel konnten sie nicht machen. Es war ja Winter. Im Sommer musste er unbedingt
wieder kommen, meinte Peter. Dann ist es wahnsinnig toll hier. Besser als es
Pipi Langstrumpf in ihrem Haus je hatte.
Der dritte Tag also.
Immerhin, die Sonne war am Himmel und es war elf Grad warm. Also
wollten Onkel Sven und Peter mit Oskar in den Botanischen Garten gehen.
Oskar war wenig begeistert. Schon wieder laufen. Und jetzt auch
noch Pflanzen anschauen. Im Winter. Das konnte nur langweilig werden!
Beim Heruntergehen der Haustreppe fragt Oskar warum eigentlich die
Treppe rund sei. Onkel Peter antwortet Oskar dann, dass es so üblich in der
Stadt währe.
Warum fragt Oskar, denn er kennt diese Art der Treppen nicht von
zu Hause.
Onkel Sven erzählt darauf hin, dass es nicht nur Platz, sondern
auch Geld spart und daher hatte man sich vor langem entschieden, diese so zu
bauen. Er meinte aber auch, dass die Treppen beim Umziehen durchaus Probleme
bereiten. Das konnte Oskar sich wieder sehr gut vorstellen. War ja alles recht
eng bei diesen Wendeltreppen.
Oskar hatte aber eigentlich noch eine andere Frage auf den
Lippen, beließ es dann aber. Er wollte nicht, dass sie ihn für einen kleinen,
dummen Jungen hielten. Oskar war nämlich der Eindruck entstanden, dass sich
Bilder, die auf den Treppenwänden gemalt waren, bewegten.
Da gab es ein Bild mit einem Baum und einem Busch vor einem
Feld. Oskar hatte sich sicher geglaubt, die Bewegung der Äste, seien eine
Täuschung gewesen. Dann gab es aber ein Bild mit drei Segelschiffen, wo er
plötzlich Bewegungen der Segel und der Wellen sah. Aber sie schienen doch auch
wieder nicht da gewesen zu sein, denn wenn Oskar ein zweites Mal hinschaute,
waren es nur unbewegliche Bilder. Ein anderes Bild schien eine japanische
Landschaft zu haben mit einem Kirschbaum in der Mitte. Dieses Bild hatte sich
soeben zum ersten Mal bewegt. Es schien als wenn der Kirschbaum Oskar folgte.
Oskar hatte sicher zu viel Süßes gegessen. Er war sich sicher,
als sie alle vor dem Auto von Onkel Sven standen, das er die letzte Packung
Gummibärchen in der Nacht besser hätte nicht essen sollen. Sie war ja eigentlich auch als Proviant für
den Tag gedacht.
Im Botanischen Garten war es viel grüner als Oskar erwartet
hatte und gar nicht so langweilig. Onkel Peter erklärte im Wechsel mit Onkel
Sven welche Pflanzen Oskar vor sich hatte und woher sie kamen. Dabei gingen sie
bergauf und bergab. Immer mit der Sonne an ihrer Seite. Sie gingen an einem
Wasserfall vorbei und an einem Uhu aus Stein, einem Waldvogel. Der schien aber
kein glückliches Gesicht zu machen.
Oskar bemerkte schnell, dass sie nicht die Einzigen im Park
waren. Er sah viele Familien mit Kindern spazieren.
Oskar wollte aber nicht nur spazieren, er wollte auch spielen
und so stellte er sich zwischen seinen Onkel und dessen Freund und schwupps
hängte er in der Luft, da beide Onkels ihn bei der Hand nahmen und in die Luft
schwenkten.
Oskar kann fliegen! Oskar kann fliegen! Und noch einmal.
Dann sah Oskar diesen grossen Brunnen vor sich auftauchen. Der
hatte die Form einer Tulpenblüte. Oskar rannte hin, hielt jedoch einige Meter
kurz vorher inne, da er Vögel aus dem Brunnen trinken sah. Plötzlich schaute
ein Vogel ihn direkt an. Erst still, dann sprach es.
Oskar traute seinen Ohren nicht! Was hatte es gesagt? Nein das
konnte nicht sein! Vögel zwitschern, aber sie sprechen doch nicht! Das wusste
Oskar genau und doch, sprach dieser Vogel, dieses kleine Etwas zu ihm und
widerholte geduldig seine Worte.
-Komm’ folge mir und du wirst dein Abenteuer des Lebens
erleben!-
Wie sollte Oskar einem Vogel folgen? Einem sprechendem noch
dazu!
Er schaute sich schnell um, ob noch jemand etwas mitbekommen
hatte, aber es schien keiner das Gespräch zwischen Oskar und dem Vogelwesen
bemerkt zu haben. Onkel Peter und Sven sassen auf der Bank vor dem Kaffeehaus,
welches gleich neben den Blumenbeeten stand und winkten ihm fröhlich zu. Dann
wendeten sie sich ihren Kaffeetassen zu und schienen im Gespräch versunken.
Als sich Oskar sicher war, das niemand etwas mitbekommen hatte,
schaute er wieder zum Brunnen und hoffte für einen Augenblick, dass er sich alles
nur eingebildet hatte. Aber nein, da sass dieser Vogel und erwartete allen Ernsten
eine Antwort von ihm. Es schien fast so, als wenn der kleine Vogel, übrigens er
nannte sich Fräulein Schneider von und zu Schnabel, immer ungeduldiger wurde.
Was sollte Oskar schon darauf antworten? Aber ehe er die
Gelegenheit dazu hatte, sah er sich gezwungen, dem kleinen Vogel zu folgen.
Fräulein Schneider von und zu Schnabel flog geradewegs hinter den grossen Baum,
der rechst von Oskar stand und so etwas wie eine weise Pflanzengirlande um
seinen Stamm hatte.
Selbstverständlich hatte Oskar die Wahl stehen zu bleiben, aber
seine Neugierde war doch zu groß und außerdem dachte er sich, bis zum Baum
konnte er ja gehen und auch noch ein wenig weiter weg. So lange er den Weg
zurück finden konnte, war alles kein Problem.
Also folgte Oskar dem braun, gelb gestreiftem Vogel hinterher
und stand dann unvermittelt hinter dem Baum vor einer Frauenstatue. Der
sonderbare Vogel sass auf ihrem Haupt und schien ihm zu verstehen zu gehen,
dass er an diese Figur heran gehen sollte. Da Oskar schon oft in Parks Figuren
und Statuen von Menschen gesehen hatte, konnte er sich nicht vorstellen, warum
er dies tun sollte, aber er ging zu ihr.
Nichts Auffälliges schien Oskar erkennen zu können. Sie war von
einem Blätterdach vor dem Regen geschützt und sichtlich reglos stand sie mit
halb erhobenen Armen auf der Wiese.
Doch dann sah Oskar ihre Lippen sich bewegen und zugleich hörte
er sie sprechen.
Oskar schüttelte seinen Kopf, weil er dachte, er hätte sich dies
eingebildet, aber sie sprach weiter.
-Oskar, reich mir deine Hand und du gelangst in mein Land!-
Welche Hand sollte er reichen und von welchem Land sprach sie?
Zugleich ging seine rechte Hand auf sie zu und umfasste die ihre.
Hoppla, was war denn das?! Rücklings lag er auf dem Boden und
wunderte sich was gerade geschehen war. Um ihn herum ganz andere Bäume und ein
strahlend blauer Himmel, der sich zu bewölken schien. Dies ging so schnell, das
Oskar sich fragte, ob der Himmel nicht schon die ganze Zeit bewölkt war.
Beim Aufstehen sah Oskar einen kleinen See vor sich.
Wo war er? Fräulein Schneider von und zu Schnabel sah er auf
einem Baumstumpf sitzen und mit ihrem Schwanz wippen. Sie schien nervös.
-Beeile Dich Oskar, wir haben nicht viel Zeit!-
-Komm’ schnell, hier lang!-
-Oskar, sie ist gleich hier!-
Schon wieder sprach sie in Rätsel und dann dieses sich beeilen
müssen. Kannte er das nicht von woanders?! Er schien nicht begeistert, aber
Oskar ging lieber auf Nummer sicher und folgte schnell dem Fräuleinwunder in
den Wald hinein, um dann in einem großem Bogen wieder zum See zu gelangen, wo
er über eine kleine Brücke aus ineinander geflochtenen Weidenästen ging, um zum
Schluss vor einem Haus aus Laub stehen zu bleiben.
Es war ein kleines Haus aus buntem Laub. Nicht viel grösser als
Oskar selber. Es schien wie ein Zelt, doch war es etwas runder an den Seiten
und es war sehr windschief. Eigentlich erwartete Oskar, das es jeden Moment
zusammenfiel, aber es stand da, als wenn es aus Stein wäre und das obwohl der
Wind merklich an Stärke zunahm. Das wiederum brachte Oskar aus seinen Gedanken
um das Haus und der Frage näher, ob er nicht herausfinden sollte, wer darin
wohnte oder ob er lieber zurück in den Wald gehen sollte, denn wenn der Wind
zum Sturm wurde, war es hier vor dem Hause schlecht stehen bleiben. Da nicht
nur der Wind zum Sturm wurde, sondern auch der Tag zur Nacht, schaute Oskar, wo
er eine Tür finden konnte, denn bisher konnte er derlei nicht entdecken. Oskar
ging um die Hütte herum und suchte nach einer Öffnung.
In dem Moment, als es mit aller Wucht anfängt zu regnen, öffnet
sich wie durch eine fremde Hand, genau da wo er stand, das Haus und schnell
schritt er hinein.
Gerade noch konnte Oskar beim Umdrehen sehen, wie sich die
Öffnung hinter ihm schloss.
Vom Regen und Sturm konnte Oskar nichts mehr hören, jedoch das
Brasseln des Feuer und das Flackern von Flammen aus einem Kamin.
-Da ist also endlich unser Menschenkind.-
Oskar schaut sich um, sieht neben dem Kamin eine Eule sitzen,
gleich der, die er im Botanischen Garten in Stein gemeißelt gesehen hatte. Nur
hier lächelte sie ihn an.
-Ihr Menschenkinder habt kein Vertrauen mehr in uns.-
Oskar wusste nicht was er darauf antworten sollte.
-Schon lange warten wir auf einen von Euch, um uns zu helfen.-
Wobei sollte Oskar ihnen helfen? Sichtlich verwundert schaute
Oskar sich um, da er glaubte noch jemanden Anderes im Raum zu hören und ja, da
war neben dem kleinem Vogel, der auf einem ganz kleinem Stuhl sass, auch ein
Biber in einem Sessel und eine rot gestreifte Katze auf dem runden Tisch neben
dem Kamin. Sie alle schienen sowohl Oskar zu beobachten, als auch der Eule
zuzuhören und ihr summend zuzustimmen.
-Du musst wissen, der Sturm da draußen ist von einer
unglücklichen Fee verursacht. Jeden Tag seit vielen Jahren schon wütet sie
einmal am Tag durch das ganze Land und jeder der sich nicht versteckt, den
nimmt sie gefangen und sperrt ihn in ihren Keller. Sie mag keine glücklichen
Wesen.-
-Aber warum mag sie denn keine glücklichen .. was war das?-
-Wesen, Oskar. Sie glaubt, das alle Kinder nur das Eine wollen
und das ist etwas Anderes als sie möchte.-
-Was will sie denn?- Oskar konnte sich nicht vorstellen, was
eine Fee so wütend gemacht haben könnte.
-Sie glaubt, ihr Menschenkinder als auch unsere Kinder wollen
nur noch Geld, Geld und noch mehr Geld.-
-Aber warum denn?-
-Weil ihr seit Jahren nicht mehr zu uns kommt.-
Nach einer Weile der Stille fragt Oskar: -Aber jetzt bin ich
doch da. Wieso ist sie dann noch immer so wütend?-
-Weil sie glaubt, dass du genauso bist wie alle Anderen.-
-Welche Anderen?-
-Die Menschenkinder die zuletzt kamen.-
-Wollten die alle wirklich nur Geld?- wundert sich Oskar und
konnte sich nicht vorstellen, warum.
-Ja.-
Wieder schwiegen sie alle eine Weile. Dann setzte sich Oskar auf
den Stuhl der vor ihm stand und überlegte lange nach, was er fragen sollte.
Schliesslich war das alles sehr bizarr, was er hier erlebte und er musste sich
heimlich am Oberschenkel kneifen, um sicher zu gehen, das er nicht träumte.
-Du muss uns helfen, damit der Herbst hier endlich wieder in den
Winter übergehen und der Kreislauf der Jahreszeiten von vorne beginnen kann.-
Das war der Biber, der mit einer tiefen Stimme zu ihm sprach.
Schnell, aber deutlich waren seine Worte zu vernehmen.
-Ja, wir haben bald kein Futter mehr und die Zwiebeln der Tulpen
beginnen schon in der Erde zu verfaulen.-
Diesmal sprach die Katze, während sie sich reckte und streckte
und erneut hinsetzte und dabei ihre Vorderpfoten unter den Kopf legte.
-Wie? Ihr habt seit Jahren Herbst?-
Alle nickten.
-Aber was soll ich denn dagegen machen? Ich bin doch bloß durch
Zufall hier und weiss doch gar nichts über die böse Fee!-
-Nicht böse Fee, nur unglücklich und deswegen wütend.-
berichtigte ihn die Eule ruhig.
Das wollte Oskar nicht in den Kopf gehen. Wer von Anderen die
Sachen kaputt machte war doch der Böse. Man war gut, wenn man alles ganz lies
und böse, wenn man zerstörte. Aber Eule, Katze, Biber und Vogel erklärten ihm
fast gleichzeitig, ja eigentlich alle zusammen, das man nicht unbedingt böse sein
muss, um Dinge zu tun, die Anderen Schaden oder einen selbst. Hatte nicht auch
er, Oskar sich nicht einmal von der Wut oder seinem Ärger verleiten lassen,
etwas kaputt zu machen, gegen die Wand zu werfen oder laut zu schreien? Ja, das
hatte Oskar. Schon öfter mal, aber das war doch nicht das selbe! Doch so war es,
beteuerten sie ihm und so musste Oskar zugeben, das er deswegen vielleicht
nicht der gute Junge war, der er meinte zu sein, aber böse war er doch auch
nicht, oder?
Sie beruhigten ihn.
Keinesfalls war er es, aber das galt eben auch für die Fee und
so sprachen die Tiere zu Oskar mit ernster Miene.
-Deswegen musst du zur Fee gehen, aber erst, wenn sie schläft.
Dann kannst du zu ihrem Garten der Träume und dem Haus der Wünsche. Dort
findest du die Kinder im Keller. Zumindest ist es das, was die Fee uns immer
erzählt hatte, als sie wieder einmal eines der armen Opfer einsperrte. Doch
sicher sind wir uns nicht.-
Das Oskar besser nicht im Sturme los ging, leuchtete ihm ein,
aber wie sollte er zu ihr gelangen und was sollte er dort tun?
Der Weg war nicht das Problem, wie sich schnell heraus stellte,
da Katze und Biber ihn gut kannten, aber was er zu tun hatte, wenn er da war,
das musste Oskar selber herausfinden, wenn er vor Ort war. Keiner wusste, was ihn
bei der Fee erwartete.
Nicht gerade sehr ermutigend, aber was blieb Oskar anderes
übrig? Wollte er helfen, dann ging das nur so, aber wenn er gar nicht wollte?
Ja, er durfte natürlich gehen, aber dann würde er die Welt die
er betrat dem Chaos überlassen.
So lange hatten sie schon gewartet.
Jetzt war es die letzte Chance, dass ihre Welt gerettet werden
konnte.
Wie konnte da Oskar mit reinem Gewissen gehen.
So schritt Oskar, nachdem der Sturm endlich weiter gezogen war,
durch den unbekannten Wald. Vor ihm der Biber, der zwischen den Bäumen herum
sprang und über ihm die Katze, die es vorzog, von Baum zu Baum zu wandern.
Der Himmel strahlend blau, als wenn nichts gewesen währe, doch
am Boden sah man die Verwüstungen die ein starker Sturm hinterlässt.
Nach Stunden, so schien es Oskar, hielten Biber und Katze an und
deuteten auf einen Baum mit ganz ungewöhnlicher Rinde. Sie war nicht glatt. Sie
ging in Streifen von oben nach unten. Sie schimmerte braun, grau, grün und
schien zu atmen.
-Da wären wir!- sprach der Biber.
Oskar schaute sich suchend nach dem Garten der Fee um, sah aber
nur den Baum inmitten einer Wiese stehen.
-Das soll das Reich der Fee sein?- fragte Oskar und zeigte auf
den Baum.
Katze und Biber rollten mit den Augen, ganz so als wenn sie ein
Kind vor sich hätten, das einfach nichts begreifen wollte, egal wie oft man ihm
alles erklärte.
-Nein, natürlich nicht! Das ist nur das Tor! Geh’ hin und fass
an. Nimm ein Stück Rinde.- sagte die Katze und verschwand ohne sich zu
verabschieden wieder in den Wald.
Oskar schaute fragend zum Biber. Der aber konnte nur die
Schultern anheben und meinte:- Mach’ einfach was die Katze sagt- und verschwand
dann auch, ganz wie die Katze einfach in den Wald.
Da stand nun Oskar alleine, mitten in einem Wald den er nicht
kannte, aus einer Welt, die er nie zuvor betreten.
Seufzend ging Oskar zum Baum. Er ging um ihn herum und beschloss
dann die Rinde anzufassen. Nichts geschah.
Musste er wirklich ein Stück Rinde abreißen? Oskar ging noch
einmal um den Baum herum, um sicher zu gehen, dass er nicht etwas übersehen
hatte. Dann nahm er ganz vorsichtig ein ganz kleines Stück Rinde vom Baum.
Nichts geschah.
Musste er mehr nehmen? Warten?
Oskar nahm ein größeres Stück Rinde und hörte ganz leise ein
Summen. Doch nichts weiter geschah. Also nahm Oskar allen Mut zusammen und nahm
ein großes Stück Rinde vom Baum und sofort schwoll das Summen zu einem lautem
Singen an und ihm war als wenn er in den Baum gezogen wurde. Und schon stand er
inmitten einem Garten voll von duftenden Blumen, Sträuchern und Bäumen. Hinter
ihm ein Holzzaun und dann die weiten Feldern und Hügeln, wie Berge am Horizont.
Schaute Oskar geradeaus konnte er am Ende seines Pfades ein gelbes Haus sehen.
Aber eigentlich sah das eher nach einem Schloss aus Holz aus. Obwohl, es sah
sehr nach der Villa Kunterbunt von Pipi Langstrumpf aus. Aber mehr wie ein
Schloss. Und viel gelber.
Vom Hause her kam ein Schnarchen. Sollte das die Fee sein oder
eher ein Ungeheuer? Oskar ging mit leisen Schritten den schmalen und vielfach
gewundenen Pfad entlang, bis er vor der blauen, recht schiefen Tür stand. Das
Schnarchen war jetzt sehr laut und deutlich zu vernehmen und kam aus dem
dritten Stockwerk, da wo das Fenster offen stand.
Was nun? Klingeln war zu riskant und Tiere schienen hier nicht
zu sein. Wie aber kam er dann hinein? Der Pfad selbst endete an der Tür.
Einer Eingebung folgend, ging Oskar rechts an der Hauswand
entlang, bis zur Hausecke und schaute vorsichtig über sie hinaus. Dort sah er
ein Steinhäuschen. Grau und tief in die Erde gebuddelt, denn nur das Dach und
die sieben Schornsteine schauten heraus.
Sind dort die Kinder eingesperrt, von denen der Uhu sprach?
Oskar ging zum Steinhaus und umkreiste es vorsichtig einmal. Wo war der
Eingang? Keine Tür war zu sehen.
Oskar schaute sich um und suchte nach etwas, was wie ein Hebel
aussehen könnte. Doch nichts dergleichen war zu finden. Dann suchte er nach
einem Deckel auf dem Boden. Doch auch hier hatte er kein Glück.
Wie seltsam, dachte Oskar. Die Schornsteine waren doch viel zu
schmal, als das man da hindurch kam.
Noch immer konnte Oskar das laute Schnarchen vernehmen und
fragte sich, wie lange es anhalten würde.
Würde er es schaffen die Kinder befreien zu können, bevor sie
wach wurde?
Oskar setzte sich in das Gras und begann fieberhaft zu grübeln.
Er konnte nämlich die Rufe der Kinder hören. Erst sehr leise, dann immer lauter
werden, aber nie zu laut.
So sass er vor dem Steinhaus mit den sieben Schornsteinen und
dem gelben Schloss dahinter im Blick. Sein Blick wanderte immer wieder hin und
her, auf der Suche nach etwas, das er anwenden konnte. Aber nichts schien
geeignet und keiner war da, den er um Rat fragen konnte.
Wie schön währe es jetzt ein Eis mit Onkel Sven zu essen, oder
mit Papa einen Schneemann zu bauen.
Schneemann. Dazu brauchte man Schnee. Die Tiere haben gesagt, es
gab schon lange keinen Schnee mehr. Keine Schneemänner seit Jahren. Und alles
weil die Fee wütend war. Das war so ungerecht!
Während er in Gedanken an Schnee versunken war, traf sein Blick
eine Kiste. Eine flache Kiste mit Moos oben drauf und da war noch was. Waren
das da etwa Äpfel?
Es waren Äpfel. Ja klar doch, es war ja Herbst! Die Zeit der
Apfelernte. Oskar ging hin, denn auf einmal wurde ihm bewusst, das er Hunger
hatte und erst wollte er sich eigentlich einen Apfel nehmen, doch dann hielt er
inne. Was wenn ein Apfel vergiftet war? Was wenn es eine Falle war? Oskar
schaute sich sofort hektisch um, doch alles schien ganz genauso wie vorher.
Selbst das Schnarchen verharrte im gleichen Klang und Rhythmus.
Was, so dachte Oskar sich plötzlich, wenn die Äpfel der Zugang
zum Steinhaus sind?
Auf einmal schienen sie gar nicht mehr so zufällig da zu liegen.
Auch sah Oskar nun, dass Kirschen dazwischen lagen. Aber welcher Apfel war es
nun, der einen hinein ließ? Sie waren rot, gelb und grün. Woran sah er, welcher
es war?
Oskar du bist ein kluger Junge hörte er seine Mutter in seinem
Kopf sagen. Oskar, geh einen Schritt zurück und betrachte alles noch einmal.
Oskar erinnere dich daran was Oma gesagt hat. Wenn du einmal nicht weiter
weist, dann dreh dich drei Mal im Kreis, schaue genau hin und schaue dich um,
dann kommt die Lösung zu dir rum.
Oskar ging vorsichtig einen Schritt zurück, überlegte ob er nach
rechts oder links drehen sollte, beschloss aber, dass es egal war und machte drei
Umdrehungen. Ein wenig schwindlig im Kopf blieb er stehen. Leicht doppelt sah
er nun die Äpfel und Kirchen und als er seinen Blick nach rechts und links
wendete, um wieder scharf sehen zu können, erkannte er, dass alle Äpfel so
lagen, wie Baum und Haus und Schloss und Tor. Die Kirchen schienen wie die Sträucher
zu liegen. Das hieß, der gelbe Apfel war das Schloss und der grüne, kleine,
schon schrumpelig gewordene Apfel war das Steinhaus. Was aber sollte er nun mit
diesem machen? Drehen, schieben, aufheben? Wieder hörte er Stimmen zu ihm
sprechen und sie forderten ihn auf zum Anfassen und Nehmen.
Moment, war das nicht die Stimme von der Katze?!
Sind Apfel und Baum das Gleiche?
Oskar zuckte die Schulter, nahm den Apfel und wartete.
Leise begann es zu vibrieren unter seinen Füssen. Der Boden
weitet sich und das Steinhaus gleitet empor. Leise, so leise, das man fast
nichts vernahm. Oskar horchte angestrengt nach dem Schnarchen.
Es war unverändert.
Dann stand das Haus still. Oskar schaute zur Tür und darüber war
ein Schild. Darauf stand, sage ich will und du kommst herein, geschrieben.
Oskar glücklich das er in Lesen in der Schule eine Eins hatte, musste nicht
lange überlegen und sagte: -Ich will!- Dann ging er zur Tür, drückte die
Türklinke leise herunter und so öffnete sich die Tür lautlos.
Pochenden Herzens ging er hinein. Keine Rufe von Kindern waren
zu hören. Während er weiter hinein ging,
achtete er darauf, dass die Haustür immer offen war. Vorsichtshalber hatte er
einen Stuhl an die Tür gelehnt, aber er traute dem Glück nicht so recht.
Sie mussten im Keller sein die Kinder, da ja der Uhu davon
sprach.
Doch als Oskar die Kellertür aufmacht, sieht er statt des
Kellers eine weite Schneelandschaft. Erst geblendet von der Helligkeit, nimmt
Oskar schnell Konturen wahr. Er sah den Horizont, die Bäume und in der Ferne
sieben Häuser. Sieben kleine Steinhäuser. In welchen aber waren nun die Kinder?
Oskar konnte keinen Weg finden, keinen Steg oder eine Brücke.
Keine Straße und auch keinen Fluss der zu ihnen führte.
Angestrengt schaute er in die Ferne, doch er sah keinen
Unterschied in den Häusern. Sogar der Rauch der aus den Schornsteinen kam,
hatte die gleiche Form.
Bekümmert schaut er auf seine Füße und war unschlüssig, wie er
nun weiter machen sollte.
Kein Wind, kein Rauschen, kein Laut der einem helfen konnte.
Kein Tier, kein... Moment Tiere! Tiere kann man im Schnee sehen!
Letzten Winter hatte sein Opa ihm Spuren im Schnee gezeigt.
Sofort schaute Oskar sich um und da, links, ein paar Meter von ihm entfernt sah
er tatsächlich Spuren im Schnee.
Sie waren klein, aber er erkannte schnell, dass es sich um einen
Vierbeiner handelte. Ein Tier das auf vier Beinen lief. Oskar ging näher an sie
heran und begab sich in die Hocke. Sie kamen ihm bekannt vor. Von welchem Tier
stammten sie noch einmal? Wieder grübelte Oskar fieberhaft nach.
Wenn er noch öfter so intensiv grübeln musste, würde er bestimmt
bald Kopfweh bekommen.
Es war der Fuchs! Es musste der Fuchs gewesen sein, der da
entlang gelaufen war und so wie es schien, führten die Spuren zu einem Haus.
Oskar schnell wie er war, rannte sofort los, immer die Spuren im Blick. Und
dann, völlig außer Atmen stand er vor dem Haus, das die Nummer Drei hatte.
Eine goldene Drei, so groß wie sein Kopf.
Jetzt konnte Oskar wieder Kinderstimmen hören.
Und abermals stand er vor einer Tür, die zu öffnen war. Sie war
sicher verriegelt. Da war sich Oskar vollkommen sicher. Dennoch versuchte er
den Tür-Knauf aufzudrehen und ganz entgegen seinen eigenen Erwartungen, öffnete
sich diese.
Sofort wurde es still. Oskar hätte den Samen der Pusteblumen
fliegen hören können.
Vor ihm sieben Kinder, allesamt erstaunt, wer da vor ihnen
stand.
Sie hatten alle sehr unterschiedliche Kleidungstücke an, ganz so
als, wenn sie aus verschiedenen Zeiten kamen. Was auch der Fall war, aber das
nahm Oskar in dem Moment nicht wahr.
Ihm war es stattdessen unangenehm so angestarrt zu werden.
Schliesslich, weil keiner etwas sagte, zuckte Oskar mit den
Schultern und meinte: -Wer will, kann mir folgen. Ich kenne den Weg nach
Hause.-
Acht Kinder stapften leise durch den Schnee. Folgten einander,
stets darauf acht gebend, ob auch niemand sie sah.
Standen vor der offenen Kellertür und gingen hinein in den
Hausflur.
Standen ängstlich um sich schauend vor dem gelben Schloss, wo
das Schnarchen noch immer nicht nachgelassen hatte.
Standen vor dem Tore, von wo Oskar zu ihnen hinein kam.
Doch das Tor war zu.
Würde es reichen es zu öffnen und hindurch zu gehen und die Kinder
waren bei Biber, Uhu und Katze? Oskar hatte ihnen bereits leise von ihnen
erzählt.
Plötzlich verstummte das Schnarchen. Oskar ahnte, es eilte.
Schnell öffnete er das Tor, das laut quietschte und alle fast zu
Tode erschreckte. Oskar mahnte alle schnell hindurch zu gehen, aber keiner
wagte einen Schritt zu tun. Starr vor Angst standen sie da und Oskar hätte sich
die Haare raufen können. Schliesslich schrie er nur: -Los!- und schon rannten
sie durch das Tor und verschwanden aus dem Feenlande.
Nur Oskar, der schaffte es nicht mehr, denn gerade als er auch
gehen will, ist das Tor wieder zu.
Sofort drehte sich Oskar zum gelben Schloss und dort vor der Tür
stand sie. Die Fee.
Oskar setzte ein Lächeln auf, was leicht einer Grimasse ähnelte,
doch die Fee sah nur einen kleinen Jungen am Tore stehen der sie anlächelte.
Wie unverschämt. Was machte das Kind da?!
Nun, sie beschloss das Lächeln zu erwidern und ging auf ihn
zu. Oskar dachte derweil wieder einmal fieberhaft
nach, was er sagen sollte.
Das blau, weise Gewand der Fee flatterte sanft, als sie vor ihm
stand.
Oskar bemüht nicht allzu ängstlich zu wirken, lächelte tapfer
und wartete, was sie zu sagen hatte.
-Guten Tag kleiner Mann, was verschafft mir die Ehre und Freude
eures Besuches?-
-Oh, ich, also, ich war spazieren und, ähem, bin dann ein wenig
vom Weg abgekommen und da ich Hunger hatte und nicht weiss, wie ich nach Hause
komme, dachte ich, ich klopfe mal an ihre Tür.-
Hätte die Fee geahnt wie heiß es Oskar gerade unter all seiner
Kleidung war, sie hätte wohl anders reagiert.
-Nun da bist du ja genau richtig bei mir! Wonach ist dir denn?
Wie du siehst habe ich einen Garten voller Früchte.- und sie zeigte mit einer
ausladenden Armbewegung hinter sich, wo Oskar nun statt der vielen Blumen,
Fruchtbäume und Sträucher sah.
-Haben sie denn auch Äpfel?- fragte Oskar und hätte sich
gleichzeitig auf die Zunge beißen können, hoffte zugleich aber, sie würde
keinen Verdacht schöpfen.
-Oh junger Mann, da haben sie aber Glück. Gleich hinter meinem
Haus, da habe ich ein paar frisch geerntete Äpfel.-
Mit wackligen Knien folgte Oskar der Fee, die eher am Boden
entlang zu schweben schien als zu gehen.
Hinter ihrem gelben Schloss angekommen, das sich irgendwie in
seiner Form verändert hatte und nun eher wie eine kleine Burg aussah, standen
sie nun vor der Kiste mit dem Moss und den Äpfeln.
Das Steinhaus, wieder im Boden, als wenn es sich nie erhoben
hätte, war hinter ihnen.
-Bevor du einen Apfel nimmst, wisse, ein jeder Apfel ist mehr
als ein Apfel.-
Oskar nickte nur und sah sie fragend an, nur um nicht den
Eindruck zu vermitteln, er wüsste wovon sie sprach.
-Beißt du in einen Apfel, so gibt er dir nicht nur sein süßes
Fruchtfleisch, sondern auch etwas Anderes.-
-Was denn?- fragt Oskar und war neugierig, was sie sagen würde.
Er rechnete mit Gift und dergleichen doch sie erzählte von einem Apfel, der ihm
Geld gab, soviel er wollte, einem Apfel, der ihm Gold gab, so viel er wollte
und dann einem der ihm Ruhm gab so lange er lebte und da war auch ein Apfel der
ihn und alle seine Verwandten reich machte; so reich, das sie nie des Hungers
würden leiden müssen. Jeder Apfel schien ihm Wohlstand zu bringen nur der
letzte, der gelbe Apfel, der gab ihm lediglich Glück.
Und Gl ück war genau das was Oskar brauchte.
-Ich hätte gerne den gelben Apfel.-
Die Fee, die sich Isabella nannte, nahm den Apfel und gab sie
ihm, sichtbar in der Erwartung, der Junge wollte nur reich werden, doch dann
hielt Oskar inne, bevor er vom Apfel abbeißen wollte. Ihm kam in Erinnerung,
das sie ja wütend war und würde sie es nicht auch weiterhin sein, wenn er
einfach sein Glück nahm? Was wenn er den Apfel mit ihr teilte?
-Möchtest du nicht mit mir den Apfel teilen? Alleine esse ich so
ungern. Und außerdem sagt Mama, dass das unhöflich ist.-
Die Fee hielt augenblicklich inne, ungläubig was sie da gerade
gehört hatte. Ein Kind das teilen will. Genauer, sein Glück teilen will.
Sie schaute Oskar lange und verwundert an. Der stand derweil mit
dem Apfel in der Hand und lächelte und schaute sie auf das Süßeste an. So gut
er nur konnte. Für gewöhnlich funktionierte das bei seiner Verwandtschaft, wenn
es Ärger gab.
Hier nun zeigte sich das unsere Fee sehr wohl ein gutes Herz
hatte.
Dieser Blick rührte sie zutiefst und sie konnte sich eine
klitzekleine Träne nicht verkneifen.
So sollte es denn sein. Der Apfel wird geteilt.
Lange sassen sie beide anschließend nebeneinander und lauschten
dem Wind. Der sang ein Lied vom Leben in der Ferne wo alle glücklich waren.
Doch dann räusperte sich Oskar und fragte die Fee, ob er sie
etwas fragen dürfte.
-Was ist mit den Kindern in deinem Haus?-
-Welchen Kindern?- Die Fee konnte sich nicht entsinnen, wovon er
sprach.
–Die Kinder, die im Keller im Steinhaus sind.-
-Welchem Steinhaus?-
Oskar verstand auf einmal, dass die Fee in ihrer Wut vollkommen
vergessen hatte, dass sie die Kinder eingesperrt hatte. Es war schon so lange
her, dass sie diese eingefangen hatte, weswegen keines der Kinder Kleidung aus Oskars
Zeit hatte.
Oskar nickte und stand dann auf. Lächelte und meinte, es währe
dann Zeit für ihn zu gehen. Die Fee schaute zu hm herauf und als sie aufstehen
wollte, reichte Oskar ihr seine Hand zur Hilfe.
Sofort verschwand ihr der Gedanke, dass sie ihn eigentlich gerne
bei sich behalten hätte und doch war sie auf einmal unendlich traurig.
Oskar sah dies und fragte, was sie bekümmerte. Da erzählte sie,
das sie seit Jahren keine Freunde hätte und so alleine war.
-Vielleicht, weil du zu lange in deiner Welt gelebt hast?-
antwortet ihr Oskar.
-Vielleicht solltest du einfach hinaus gehen, deine schönen Äpfel
mitnehmen und sie verteilen.–
-Aber keiner mag mich da draußen!- antwortet die Fee.
-Wie währe es, wenn ich dir meine Freunde vorstelle!-
Die Idee gefiel ihr, aber sie war sich nicht sicher, denn immer
wenn sie durch das Tor ging fühlte sie sich verärgert.
Oskar aber war sich sicher, sie würde diesmal glücklich bleiben.
Sie hatten doch beide vom Apfel des Glücks gegessen.
Das stimmte und so gingen sie gemeinsam zum Tor und gelangten auf
die andere Seite, wo der Uhu mit einem Lächeln auf sie wartete und die Fee
willkommen hieß.
Was wurde sie glücklich!
Und so fing es zum ersten Mal seit Jahren an zu schneien.
Endlich war der Winter da und ein tiefes und erleichtertes
Seufzen ging durch den Wald. Alle gefangenen Wesen waren auf einmal befreit und
das ohne das es die Fee bemerkte, noch konnte sie sich je danach erinnern, das
sie diese eingefangen hatte.
Oskar dachte nun wieder an Schneemänner und dann an seine
Familie. An Mama und Papa, seinen kleinen Bruder und an Oma und Opa und an die
andere Oma und den anderen Opa. Er dachte an Onkel Steffen mit Tante Klara und
dann schliesslich an Onkel Sven mit Peter.
Er wollte nach Hause. Wieder bei seinen Onkeln sein und einfach
nur eine Tasse heiße Schokolade trinken, die bei ihnen immer am Besten
schmeckte.
Die Fee jetzt in bunten Farben gekleidet schwebte zu Oskar.
-Kluger Junge. Du hast die Kinder wieder nach Hause gebracht.
Ich danke dir! Und ich sehe, du willst nicht bei uns bleiben, drum zeige ich
dir, wo du den Weg finden kannst. Siehst du den Stein dort drüben, unter dem
bunten Laubendach?! Geh dorthin, steige hinauf und rutsch herunter.-
Ein letztes Mal schaute Oskar sich um, dann ging er zu dem
grossen Stein, kletterte hinauf und setzte sich hin. Wehmut und ein wenig
Traurigkeit überkam ihn; ahnend, dass er sie alle nicht wieder sehen wird. Dann
schloss er die Augen und als er sie wieder öffnet, war er neben dem grossen
Baum, mit der weißen Blättergirlande gelandet.
Wie lange er wohl weg war?
Der Himmel war noch hell, doch es war bewölkt.
Oskar stand auf, ging zu dem Brunnen in Tulpenform und schaute
hinüber zum Kaffeehaus.
Dort waren seine Onkels und winkten ihm zu, als sie gerade
aufstanden und wie auf ein Zauberwort, fing es an zu schneien.
Es schneite dicke, fette Flocken, dicht an dicht auf sein
Gesicht.
Endlich kam der erste Schnee in Schweden in diesem Jahr.
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